Mittwoch, 23. Mai 2018

Immer freitags

Ein Gedanke am Ramadan
Mir fiel kürzlich auf dem Online-Forum der Zeitschrift DAS GEDICHT das von dem in Berlin lebenden Autor Salean A. Maiwald (*1948) verfasste Gedicht  Am Freitag in die Augen.
Und als ich es las, fiel mir ein ehemaliger Arbeitskollege ein. Er war – ich hoffe natürlich, dass er es immer noch ist - Türke und Muslime. Es gibt in dem Gedicht die Verse: „Doch jeden Freitag in der / Altstadt Jerusalems / gefolgt vom Blick / schwerbewaffneter Soldaten // eilen vor Sonnenaufgang / Muslime zum Feiertagsgebet / in die Moschee; / schleppen zur Mittagszeit Christen, / des Karfreitags / gedenkend, / ein Kreuz durch die Gassen; / hasten kurz vor Sonnenuntergang / Juden zur Klagemauer / den Sabbat zu begrüßen.“
Immer freitags nach der Frühschicht, also jede zweite Woche, hatten mein Arbeitskollege und ich über eine kurze Strecke, ca. einen Kilometer, den gleichen Weg. Ich war auf meinem alten Drahtesel auf dem Heimweg und er mit ausholenden Schritten auf dem Weg „zum Feiertagsgebet / in die Moschee“. Jeder Freitag war für ihn ein Feiertag. Für mich nur der Karfreitag, und das nur, weil er ein gesetzlich freier Arbeitstag war.
Wir verstanden uns gut. Und ich beneidete ihn besonders für seine Schrift. Er bediente sich einer Kunstschrift, die jeden Kalligrafiefan ins Schwärmen bringen konnte, und das sowohl mit unseren lateinischen Schriftzeichen als auch mit arabischen. Er war für alles offen. Nur über seine Familie wollte er nie sprechen. Und nicht über seine Religion. Und mit mir schon gar nicht, nachdem er bemerkt hatte, wie schmalbrüstig meine christlichen Überzeugungen sind. Ich weiß, er hätte sich sogar gerne mit einem überzeugten Christen unterhalten, über Gott, Allah und die Welt. Doch soweit ich mich erinnere, hat er keinen seinen Ansprüchen entsprechenden Andersgläubigen in der Abteilung gefunden. Da war keiner, der an Karfreitag „ein Kreuz durch die Gassen“ der „Altstadt Jerusalems“ schleppen würde. Das waren alles säkularisierte Christen, keine Andersglaubens- und schon längst keine Glaubensbrüder. 
Ich weiß nicht, ob der Gebetsraum oder die –halle in seiner Moschee jeden Freitag voll ist, kann mir aber vorstellen, dass sie besser besucht ist als die katholische Kirche in meinem Stadtteil. Daher hat es mich auch kaum gewundert, als ich in einer der letzten Ausgaben der Ingolstädter Wochenzeitung INGOLSTADT-TODAY einen Beitrag von Chefredakteur Michael Schmatloch las, der sich Gedanken über Das [zurzeit grassierende] große Unbehangen nicht nur in Ingolstadt, sondern im ganzen Land macht und dabei feststellt: „Auch wenn die Kirche nicht mehr den ‚Schutz‘ der Bevölkerung genießt, so hinterlässt es doch ein massives Unbehagen, wenn wie im Hamburger Stadtteil Horn eine Kirche mit Hilfe der Finanzen aus Kuweit zu einer Moschee umgebaut wird, wenn das Kreuz ausgetauscht wird gegen den Schriftzug ‚Allah‘.“
Der Volksmund weiß, dass, wer anderen eine Grube gräbt, selbst hineinfallen kann. Wer sich eine solche aber selber aushebt, läuft Gefahr nicht mehr herauszukommen. Die Christen in Deutschland sind gerade fleißig am Graben. Und viele wundern sich jetzt schon, ob der notwendigen Kraftanstrengung, um wieder ans Tageslicht zu kommen. Die neuen Kreuze in den Behörden der bayerischen Staatsverwaltung werden den Ausstieg aus der Grube nicht leichter machen. Meinem ehemaligen Arbeitskollege aus noch unbehagenfreien Jahren wird das alles gleichgültig sein ... solange er seinen Freitagsweg in die Moschee unweit seines Arbeitsplatzes ungestört gehen kann. Er hat sich diesen Weg mit seinem unerschütterlichen Glauben ehrlich verdient - erst jetzt zur Opferzeit des Ramadan.
Anton Potche

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